Die Folk-Band „Plattdüütsch Leed“ brachte 1982 eine LP mit Liedern heraus, die Texte aus Claudius’ erstem Gedichtband „Mank Muern“ vertonen.
LEEV
Un jeden Morgen seeg se em
un drööm den ganzen Dag vun em
un ok de ganze Nacht.
He güng vörbi un markt dat nich,
höll heel graadut sien Buurngesich‘
as harr de Welt he pacht.
Un as he’t mark, dunn lach he blot:
Du lütte Bloom an mienen Hoot,
haha, ik plück di sacht!
Se aver krall sik an sien Hatt.
„Nu laat mi los, verdreihte Katt!
Sünst bruuk ik miene Macht!“
Nu kickt se kenen Morgen mehr.
Ein aver is’t as seeg he ehr
bi Dag un ok bi Nacht.
Keen Arbeit
Keen Arbeit
Bin Gänsemarkt tor Middagstid
dor steit tohop en Minschenhump
un ümmer swatter waßt de Klump.
De Snee fallt lis un witt.
Dat steit un steit un lurt und lurt
op Arbeit, Arbeit Dag üm Dag.
Un mannigeen, den knurrt de Mag.
Wolang, wolang dat durt!
Un üm se rüm dor slikt de Not
mit schuen Schritt un hollen Og
un tellt un het noch nicht genog
un söcht noch op de Strat.
Een langen Kerl de swenkt sin Mütz.
Sin Büx de weiht em üm de Been.
He will de grise Not nich sehn
un lacht un ritt en Witz!
Un buten vor de Redakschon
dor steit in sine Staatslivree
de würdevulle Husportier
un het noch nicks to don.
Nu awer – kik! – de Zettels! – kik!
Op eemol drängt dat, grippt un röppt
un steit un geit un lißt un löppt …
Arbeit, du grotes Glück!
in: Mank Muern (1912): Originalversion
Das „dragseth duo“ veröffentlicht 1991 die CD/MC „Lichtjahre“, auf der sie das Gedicht „Plünnhökersch“ aus Claudius erstem Gedichtband „Mank Muern“ von 1912 vertonen.
Gris de Kor. Un gris das Wif.
Möd, so möd tohopen.
Utgedögt dat ole Lif,
ünner Plünn verkropen.
Mag nich mehr un kann nicht mehr,
awer mutt sick placken.
Hunger sett vun achtern her
ehr de Fust in n Nacken.
Un so treckt se Strat üm Strat
mit ehr Kor voll Sorgen …
Blot ehr Ring, de lücht noch grad
as an n Hogtidsmorgen!
Kalle Johannsen schreibt uns zur Entstehungsgeschichte des Liedes:
Als plattdeutscher Sänger, der Wert auf gehaltvolle Texte legt, liest man eben viel niederdeutsche Literatur, vor allem Gedichte. Und natürlch auch die Klassiker, zu denen Hermann Claudius ja gehört. Seine gesammelten plattdeutschen Gedichte stehen bei mir in der Bibliothek und ich habe sie alle gelesen. Dabei stieß ich dann auf diese Perle „Plünnhökersch“ und ich erinnerte mich an das, was meine Mutter (Jahrgang 1924, im nordfriesischen Dorf Vollstedt aufgewachsen) aus ihrer Kindheit erzählte, nämlich fast exakt die Begebenheit, die Hermann Claudius in seinem Gedicht erzählt: Mehr oder minder regelmäßig tauchte im Dorf der alte „Plünnhöker“ auf, also in diesem Fall der Mann und nicht die Frau, mit einer alten schäbigen Holzkarre, die von einem alten verzottelten Schäferhund gezogen wurde. Sie zogen von Hof zu Hof und fragte nach alten Lumpen, die nicht mehr gebraucht wurden. Und dieser Alte trug eben auch zwei Eheringe am Finger, den eigenen und den seiner verstorbenen Frau. Hermann Claudius hatte also nichts als die Wahrheit erzählt, eine traurige anrührende Wahrheit.
Außerdem hat sein Gedicht zumindest in übertragenem Sinn einen Bezug zur Gegenwart. Der krasse Gegensatz zwischen arm und reich ist ja nach wie vor Realität. Es gibt ja immer noch viel zu viele Menschen in unserer Wohlstandsgesellschaft, die von den „Abfällen“ anderer leben. Die „Husumer Tafel“ kann sich nicht über mangelnde Kundschaft betragen. Wenn jemand abends seinen Sperrmüll an die Straße stellt, ist er am nächsten Morgen durchwühlt. Ich denke auch an die Flaschensammler, die sämtliche Abfallkörbe der Stadt anfahren.
Dem Dragseth-Duo war es immer ein Anliegen, nicht nur die angenehmen Seiten des Lebens, sondern auch die Schattenseiten zu besingen und „Plünnhökersch“ ist ein Beispiel dafür.
Die Singer/Songwriterin Maike Hamman Maike Hamman vertont auf ihrer CD „Platt“ aus dem Jahr 2000 Gedichte von Hermann Claudius (De Fründ, Avends, König, Fröhjahrstid, Willes Bloot, Männichmal, De Stromer, Keen Arbeit, Min Seel). Ebenso veröffentlicht auf Youtube Videos mit Liedern zu Claudius-Gedichten, z.B. König.
Maike Hamman schreibt uns zu ihrer Motivation, Claudius-Gedichte zu vertonen:
„Meine Eltern hatten mir „Mank Muern“ geschenkt und die Gedichte darin haben mich ergriffen.“
„Die plattdeutsche Sprache eignet sich einfach gut, tiefe Gefühle auszudrücken“, sagt Maike Hamman in einen Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 14.4.1999. Es seien Geschichten, wie sie das Leben und die Liebe schreiben, die den Liedtexten Leben geben.
König
De annern fahrt to Wagen.
De annern riedt to Peer.
Ik kumm den Weg lang tagen
man blots to Foot darher.
Se sitt so hooch dar baven.
Se riedt so gau in Draff.
Ik bück mi an den Graven
un plück en Blöömken af.
Dat Blöömken hett fiev Bläder,
un rund un blank un geel.
Dat helle Sommerweder
dat drifft dar op sien Speel.
Fiev Bläder hett dat Blöömken.
Ik dreih dat hen un her.
Dar is’t as wenn’t en Kröönken,
en gollne Kroon wull weer.
Un wiggt se ok man wenig.
Un is se ok man lütt.
Bün doch vundaag de König,
de an den Graven sitt.
in: Mank Muern,
erweiterte Auflage von 1953
Der Komponist Christian Lahusen (1886-1975) vertont in den 30er Jahren Gedichte von Hermann Claudius.
Die Birnauer Kantorei unter der Leitung von Klaus Reiners veröffentlicht 1990 eine CD mit verschiedenen Chorwerken, darunter die Motette „Andacht zum Tode“. Das Leitmotiv ist ein „Torspruch“ mit den Claudius-Versen aus dem Band „Jeden Morgen geht die Sonne auf“ von 1938.
Herz, mein Herz, gib acht, gib acht!
Horch, es pocht ans Tor die Nacht!
Horch, es pocht ans Tor der Tod!
Herz, mein Herz, gedenk der Not!
Hermann Ruck (1897-1983) hat über 50 Gedichte von Hermann Claudius vertont. Die Schallplatte „Lieder von Hermann Ruck und Hugo Herrmann“ (1979) enthält fünf Beispiele der Ruck-Musik.
Kleines Lied
Den Blumenstrauß vom Felde
hab‘ ich für dich gepflückt.
Und du magst fröhlich glauben
Gott hat ihn dir geschickt.
Er war in jeder Blüte.
Er war in jedem Duft.
Ich hab ihn eingesogen
mit jedem Zug der Luft.
Und hab‘ mich heimgesungen,
des Gottes übervoll,
und diesen Strauß geschwungen,
der es dir sagen soll.
in: Heimkehr (1925)
Hermann Ruck op 264,1 (1974)
Lied
Kleine leichte weiße Wolke –
lächelnd gleitest du durchs Blaue.
O wie gern ich nach dir schaue,
kleine leichte weiße Wolke.
Sieh, du kannst mir nicht entrinnen:
leise tret‘ ich vor die Stufen
meiner Seele, dich zu rufen,
liebe leichte weiße Wolke.
Und du kommst und schaust hernieder.
Und du nimmst mir lächelnd meine
Schwere, so, als wär‘ ich eine
kleine leichte weiße Wolke.
in: Daß dein Herz fest sei (1935)
Hermann Ruck op 87,2 (II,2-1939)
Herta Schulz singt die Komposition von Hermann Ruck (1980):
Schicksal,
da ich dich rief,
kamst du,
brachtest mich nieder.
Aber ich hob mich im Schmerz
über dich.
Und du gingst.
Auf deine scheidende Hand
zitterte eine Zähre
mir aus dem Auge. Du sahst
es und Küßtest sie fort.
in: Töricht und weise (1968)
Auch der Komponist Karl Marx vertonte zahlreiche Claudius-Gedichte. Sein bekannteste Lied dürfte sicherlich seine Version von „Jeden Morgen geht die Sonne auf“ (1943), die Volksliedcharakter erhalten hat.
Der Star
Das alte Wunder ward wieder wahr:
auf unserm Dachfirst flötet
der erste Star.
Er gibt sich alle Mühe, der kleine Mann,
den Frühling deutlich zu machen,
so gut er kann.
Er spreizt die Federn. Er kehlt die Brust.
Allein es bleibt mehr Mühe
als reine Luft.
Er ist auf seine geringe Weise ein Prophet,
der mit ringenden Worten
vor neuem Anfang steht.
in: Daß dein Herz fest sei (1935)
Die weltweite Wirkung der Claudius/Marx-Lieder kann man hier sehen und hören: Maria, Kathrin und Maike aus Arizona singen „Jeden Morgen geht die Sonne auf“.
Dabei verlegen sie die Herkunft ins 19. Jahrhundert, halten „famous Karl Marx“ für den Autor und singen eine dritte Strophe, die es im Originaltext nicht gibt: kein Problem bei so viel Sangesfreude und Inbrunst im Dienste des Kulturtransfers.
Meinen vier Töchtern
Daß zwei sich herzlich lieben,
gibt erst der Welt den Sinn,
macht sie erst rund und richtig
bis an die Sterne hin.
Daß zwei sich herzlich lieben,
ist nötiger als Brot,
ist nötiger als Leben
und spottet aller Not.
Daß zwei sich herzlich lieben,
ist aller Welt Beginn,
macht sie erst rund und richtig
bis an die Sterne hin.
in: Daß dein Herz fest sei (1935)