Literat im NS-Staat
Claudius war kein Mitglied der NSDAP, sondern der SPD.
Claudius war „nie ein weltanschaulich Festgelegter, nie ein dogmatisch Verblendeter, nie ein Rechthaber“ (Gisela Claudius zitiert im Vorwort zu dem Band „Jeden Morgen geht die Sonne auf“, 1985, Wilhelm Helmich). Eine Nähe zum Nationalsozialismus ist dennoch aus zwei Gründen festzustellen. Zum einen gab es in nationalkonservativen Kreisen eine Enttäuschung über die Sozialdemokratie der Weimarer Republik, zum anderen war Claudius dankbar für eine Förderung und Unterstützung durch die Nazis. Nach seiner krankheitsbedingten Pensionierung war Claudius ständig in Geldsorgen und lebte in bescheidenen Verhältnissen. Er war abhängig von Veröffentlichungen, um seine Familie zu ernähren. Dies ermöglichte ihm die NS-Kulturpolitik. Der Dichter wurde 1933 in die gesäuberte Preußische Akademie der Künste aufgenommen. Claudius passte sich an und ließ sich für die Zwecke der Nazi instrumentalisieren, um als Dichter überleben zu können. So gehörte er vermutlich auch zu den 88 Schriftstellern, die ein Treuegelöbnis für Adolf Hitler im Oktober 1933 unterzeichneten (das ist allerdings umstritten).
Doch hauptsächlich dieses Gedicht brachte Claudius den Ruf ein, „NS-Dichter“ zu sein.
Herr Gott, steh dem Führer bei,
daß sein Werk das Deine sei,
daß Dein Werk das seine sei.
Herrgott steh dem Führer bei.
Herrgott steh uns allen bei,
daß sein Werk das Unsre sei.
Unser Werk das seine sei.
Herrgott steh uns allen bei.
„Claudius trägt mit seinen Werken zur Verbreitung der nationalsozialistischen Weltanschauung bei und preist darin das NS-Regime“. (Lawrence D. Stokes: Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus 1936-1945. Neumünster 2001) Keine Darstellung des Lyrikers verzichtet auf dieses Gedicht als Beleg für seine Verstrickung in den Nationalsozialismus. Ein genauerer Blick auf den Kontext relativiert dieses pauschale Urteil:
Hermann Claudius erhält im Herbst 1938 vom „Amt Rosenberg“ (Reichsleiter Alfred Rosenberg führte ein Amt für Kulturpolitik zur Überwachung der NS-Ideologie) die Aufforderung, sich zum 50. Geburtstag Hitlers (20.4.1939) mit einem Vers zu bekennen. Claudius lehnt ab, wird aber ein zweites Mal, diesmal schon drohend, dazu aufgefordert. In Sorge vor Maßregelungen der Gestapo, die Claudius bekannt waren, schreibt Claudius seinen Text und schickt ihn ab.
In einer ledergebundenen Prachtausgabe wird Hitler zu seinem 50. Geburtstag der Band übergeben, mit handgeschriebenen Texten zahlreicher Autoren. Neben Hitler erhalten die Autoren ein Belegexemplar.
Das Gedicht ist in Claudius‘ Gedichtband „Zuhause“ 1940 abgedruckt. Der Verlag Langen-Müller stellt Claudius vor das Ultimatum, das Gedicht gegen seinen Wunsch mit aufzunehmen oder kein Papier für den Druck des Bandes zu erhalten. Claudius willigt ein.
Claudius selbst hat das Gedicht im Kontext anderer Gedichte in dem Band „Zuhause“ als Gebet verstanden, da „hier der Absolutheitsanspruch des Führers in Konkurrenz mit der Allmacht Gottes tritt und dadurch relativiert wird, was in dem bangenden Unterton der Schlusszeile zum Ausdruck kommt“ (Sarkowicz/Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Hamburg 2000. S. 128). In der Tradition kirchlicher Fürbitte für die Herrschenden ist der Text gerade keine Huldigung des Führers, sondern angesichts der Erfahrungen in NS-Deutschland eine Erinnerung an die Verpflichtung und Verantwortung einer Obrigkeit für das Volk im christlichen Sinne, eine offensichtlich „naive Frömmigkeit“ (Sarkwowicz/Metzner).
ausführliche Darstellung in: Katthage, Gerd: Beten für den Führer. Hermann Claudius und der Nationslsozialismus: Kontextualisierung eines umstrittenen Textes. In: Wirkendes Wort 2/2018. S. 243-265