Gedichte 
- aus Zeitungen und Zeitschriften, die nicht in den Werken erschienen sind,
- aus Manuskripten, bisher unveröffentlicht,
- chronologisch sortiert
1956 |
Das Kaffeemühlen-Sonett (Der „Kaffeepost“ gewidmet) Von Hermann Claudius In dieses Sommertages später Schwüle, nachdem ich mich vom Mittagsschlaf erhoben, da schreibe ich - ich muß sie einmal loben - ja: ein Sonett auf meine Kaffeemühle. Ich schreibe es aus herzlichem Gefühle. Wieviel ist in den Jahren doch zerstoben. Sie aber - mochten wir sie täglich proben - sie hielt sich oben in dem All-Gewühle. Denn keine Mühle mahlt so fein wie sie und läßt den Duft der Bohnen würzig steigen. Das ist nur meiner Kaffeemühle eigen. Und eine andere benutz ich nie. Doch will ich nun nicht länger mit dir prahlen. Zwei Lot vom Besten! Laß uns mahlen, mahlen! In: Die Kaffee-Post. Hamburg. H.46 S. 9 vom 17.11.1956 Der Mensch Was willst du dich ereifern? Die Welt geht ihren Gang. Das Spötteln und Begeifern hat keinen guten Klang. Die Bäume stehen stille. Marienblümchen blühn. Es läßt des Himmels Wille die weißen Wolken ziehn. Ich neige mich zur Quelle bis nieder an den Rand und schöpfe ihrer Helle mit meiner hohen Hand. Es kommt ein Echslein zage und sonnt sich auf dem Stein und ist wie eine Frage. Und ich müßt Antwort sein. Sie regt sich in mir leise. Ich wandre weiter fort, auf seiner Erdenreise der Mensch mit seinem Wort. In: DIE HOREN 7/1956 und 6/1958 S.7 Von unserem Apfelbaum Unser Apfelbaum hängt apfelschwer, kinderbackenrot im dichten Laube. Und ich zögere, daß ich ihn beraube. Er erfreut mich jeden Morgen neu. Wann ich vor des Tages langen Mühn durch den Garten geh und ihn betrachte und der Rosen auf den Beeten achte, wie die letzten sich noch mühn zu blühn. Doch: „Horatio, Wirtschaft!“ Dies ist not. Und wir werden in die Körbe pflücken und uns nach den Hasenköpfen bücken, die ins Gras uns rollten rund und rot. Ja, mein lieber Baum, du stehst nun leer, mußte deiner Schöne dich berauben. Doch in deinem Holze lebt der Glauben. Und in jedem Jahre trägst du mehr. In: Deutsches Volksblatt. Nr.221 vom 22.9.1956 Chrysanthemen Verspätete Chrysanthemen, tief-bronze-rot, Blüte noch neben Blüte, als sei der Sommer nicht tot. Nur zögernd aufgeschlossen in dichtem Kranz, und um die Blüten metallisch ein herber Glanz. Ich wag euch nicht zu pflücken. Bleibt, wo ihr seid. In euren Wurzeln wartet schon Frühlingszeit. In: (Zeitungsausschnitt) 206.J Nr.279 S.7 vom 29.11.1956 Vor Weihnachten Träume, träum in das Licht, gläubig der frommen Legende. Nimmer nimmt sie ein Ende; immer ein Engel spricht. Immer ein Engel neigt nieder zu uns, die wir irrten, sich wie einst zu den Hirten. Und sein Finger der zeigt. Und wie immer auch heut liegen viel Herzen ihm offen, voll von Harren und Hoffen auf die gottselige Zeit. In: Schwäbische Post, Aalen. Nr.48 vom 1.12.1956 De Arntfier. I. Dat Korn, dat Korn, ahn Korn weern wi verlor'n. Dat Korn dat gifft us Brot un stüert alle Not. De Eer, de Eer, dor kummt dat allens her. De Plöger un sien Plog, de sünd us nödig nog. För Regen un Sünnenschien willt wi nu dankbar sien! Wat help us Plog un Eer, wenn nich us Herrgott weer. II. Uns Wark is swör wull Dag um Dag. Dat makt uns mör, man sachen, sacht! Dor is in us een anner Deel, dat is uns Hart, dat is uns Seel. - Un de will ok ehr Deel. De Seel, de Seel, de richt't sick op. Se is wat höger as de Kopp - Se is wat klöker as de Kopp. De Herrgottswind, de um uns weiht, sin Aten ut de Ewigkeit. III.a Een, twee, dree, veer: Dreih di! Wull wi hebbt uns mögt. Een, twee, dree, veer: frei di! Wat sünd wi vergnögt. Um mi rüm un ick um di na de moje Melodie. Um mi rüm un ick um di na de Melodie. Een, twee, dree, veer: Höger! Höger mit den Swung. Een, twee, dree, veer: Höger! Ran wi sind noch jung. Um mi rüm un ick um di ümmer jümmer beter bi Um mi rüm un ick um di jümmer beter bi. III.b Männer: Fiken, kumm mit achtern Busch. De Busch de steiht so grön. Fiken, kumm mit achtern Busch. Dor lett dat wunnerschön. Mädchen: Luten, ach, wat ick di bidd: swieg doch still, sünst mutt ick mit. Männer: Fiken, kumm mit achtern Busch. De Busch de weet Bescheed. Fiken, kumm mit achtern Busch. Dor sing ick di mien Leed. Mädchen: Luten, ach, wat ick di bidd: swieg doch still, sünst mutt ick mit. Männer: Fiken, kumm mit achtern Busch. In'n Harwst, denn steiht he geel. Fiken, kumm mit achtern Busch. Dat Läwen is man'n Speel. Mädchen: Luten, ach, wat ick di bidd: swieg blots still. Ick gah all mit! IV. Op'n Buernhoff dat schall woll ween, kummt de Fierabend heel von alleen Is dat Dagwark ut, sünd wi mööd, sackt de Hann'n us dal un de Fööt. Op'n Hoff op de Bank ünnern Boom is dat still so as weer't all in'n Droom. Ut de Bläder dor ruschelt dat sach, und de Maan kummt un seggt uns: Go'Nacht. Un so löppt uns dat Lewen sick rund, lett an Lief un Seel uns gesund. Op'n Buernhoff, dat schall woll ween, sünd noch Arbeit und Fierawend een. V. De Hoff, de is mien eegen, de Koppeln ok ümher. Bi Sünnschien un bi Regen. Wat hett de König mehr? As he mutt he regeeren, de Buer un dat is not, He brukt dat nich to lehren. Dat liggt em all in't Bloot. Geslechter na Geslechter vergaat. De Hoff de steiht. De Buer is blots Wächter, solang he lewen deiht. Bewahr uns Gott in Gnaden as all' de Tieden lang för Für un Schimp un Schaden. Wi seggt em Loff un Dank. Text von Hermann Claudius. Musik von Volker Gwinner für Solo, 3stgGCh, Clar, 2 V, Akk u Ktb - Mspt - Radio Bremen 19.9.1956. Sendung am Erntedanktag 30.9.1956 Beim Erwachen Halb im Schlaf noch, recke ich die Glieder. Durch des blauen Vorhangs schmale Spalte äugt die Sonne. Doch kein Uhrschlag drängt mich. Und so schließ ich wieder meine Augen, fühle meinen Körper ruhn, den klugen Kopf insonderlich auf weichem Kissen. Auf die weiche Decke hingebreitet schlafen meine Hände für sich selber. Meine Füße, diese armen Sünder, die den langen Tag mich schleppen müssen, ruhen nun, als hätten sie's vergessen, decken-eingekuschelt wie zwei Vöglein. Lächelnd laß ich sie und gönn es ihnen. Du mein Herz, mein Herz! In losem Takte singst du vor dich hin, als sei ich wieder jenes Kind, das Mutter in den Schlaf sang. Wohl, ich weiß und will es gar nicht wissen, jedes Klopfen hebt durch hundert Adern schweren Blutes Strom ein Meter achtzig hoch und läßt ihn fallen, hebt ihn wieder Tag für Tag durch Stunden und Sekunden Hub um Hub durch über siebzig Jahre. Liebes Herz, es ist wohl arge Mühe. Spare dich ein wenig nun, ein wenig. Einmal stehst du still. Ich werde ruhen anders dann als heut und nicht erwachen. Nicht erwachen! Wie es mich durchschauert. Ewigkeit? Wer hat das Wort gesprochen? Heller bricht der Morgen durch den Vorhang. Zögernd - dennoch öffne ich die Lider: Guten Morgen, Tag! Und ja, da bin ich. Springe auf und stoß den blauen Vorhang jäh zurück und grüße meine Bäume. In: Einkehr. Bremer Kirchenzeitung. 11.J Nr.24 vom 4.11.1956 |
1957 |
Fehmarn Fehmarn, ich lieb dich sehr, von goldnem Weizen schwer, rundum das salze Meer. Du hast noch hohen Mut, hältst väterliches Gut in deiner treuen Hut. Zu Burg der Kirchturm kühn. Die Dohlen lieben ihn, die lärmend ihn umziehn. Fehmarn, mein Wanderschuh, er fand auf dir die Ruh. Bleib du, bleib immer du. In: Fehmarnsches Tageblatt. Burg. 102.J Nr.212 vom 12.9.1957 Existens Man fängt mitunter an, was zu beginnen, um nur der eignen Ichheit zu entrinnen. Man klettert auf den Baum und ist nun oben und kann den neuen Zustand doch nicht loben. Denn wie man sich betastet, wird uns klar, man ist derselbe, der man unten war. Nun klettert man hinab und in der Mitte, da hält man an, als sei das nun das Dritte. Das ist es auch, doch immer nicht zu loben: es zieht nach unten und es zieht nach oben. So macht man denn gedankenvoll den Strich: du kannst nicht fort aus deinem eignen Ich. Und bleibt nichts andres übrig, als verwegen das Weltall in dich selber zu verlegen. Hermann Claudius 24.6.1957 Weihnacht Gottes Güte war's und Größe, da Er niederkam und in Stalles Blöße seine Wohnung nahm. Leuchtend um das Kinde lag der Heiligenschein. Und war sein Gesinde Ochs und Eselein. Hirten auf den Knien beteten es an. Joseph und Marien hat es wohlgetan. Weihrauch, Gold und Myrrhen - Könige von fern folgten ohne Irren ihrem hellen Stern. Engelstimmen sangen: Heute in der Nacht allen, die da bangen, ist das Heil gebracht. In: Trierischer Volksfreund/Wochenend-Post. Nr.51 Weihnachten 1957 Im Grase Ich lieg im hohen Gras und schau der Halme Gold im tiefen Blau des Sommerhimmels über mir. Ich seh der Rispen zarte Zier im Wind sich wiegen her und hin und gebe mich der Stunde Sinn, als sei ich selbst ein Gras und Kraut, darauf die Sonne niederschaut. Und liege so und denke nicht und bin mir selber ein Gedicht. In: Das illustrierte Wochenende / Beilage. Nr.246 vom 13.7.1957 Es lenzt Ich seh' der Weiden schimmernd Haar zum Wasser niederhangen, nach ihrem Spiegelbilde gar wie nach sich selber langen. Ich gehe her und gehe hin und mag den Blick nicht meiden und dank dem Herrgott, daß ich bin, und laß die Augen weiden. Und bin wohl wie der Weidenbaum und fühl mein kleines Leben und wie aus eines Spiegels Raum leuchtend mich umschweben. In: Sonntagspost (Die bunte Post), Oberndorf vom 28.4.1957 Advent Um Advent, wenn im Kranze das erste Lichtlein brennt, da stellt sich heimlich die Hoffnung ein, einmal wird die Welt anders sein. Um Advent, wenn im Kranze das zweite Lichtlein brennt, hat jedes Licht einen dunklen Kern. Aber er wandelt zur Flamme sich gern. Um Advent, wenn im Kranze das dritte Lichtlein brennt, da liegt ein Leuchten um unser Gesicht, will alles Dunkle in das Licht. Um Advent, wenn im Kranze das vierte Lichtlein brennt, da wandelt die Liebe von Haus zu Haus, löscht alles Böse im Herzen aus. In: Zeitungsausschnitt vom 1.12.1957 Heiligabend Von Hermann Claudius Kinderaugen unterm Kerzenbaum - Wie sie schauen, schauen! Lauteres Vertrauen! Störe nicht den halberwachten Traum! Alle Erdensüße blüht darin, Laß es mich dir sagen, Fern noch allem Fragen Alles Lebens allererster Sinn. Du, der du erwachsen, blick' hinein Herzhaft bis zum Grunde, Daß dein Herz daran gesunde, Unter Kindern wieder Kind zu sein. In: Main-Post Nr.297 S.13 vom 24.12.1957 In: Heidenheimer Zeitung 1957 Weihnachten Das Kind in der Krippe, in der Krippen das Kind - wie wir doch alle verloren sind! Zu Bethlehem war es, in Bethlehems Stall. Der Engel verkündete es mit lautem Schall. Der Stern blieb über dem Stalle stehn. Das Gotteswunder war geschehn: Christus geboren, der Heiland der Welt. Die Hirten kamen vom nächtigen Feld. Die Weisen kamen aus Morgenland, Gold, Weihrauch und Myrrhen in ihrer Hand. Maria und Joseph im Heiligenschein. Und Ochs dabei auch und Eselein. Ehre sei Gott und Frieden allen Menschen und ein Wohlgefallen! In: Münster-Zeitung Weihnachten 1957 Unterm Christbaum Unterm Weihnachtsbaume - schimmernd Licht bei Licht - sind wir alle Kinder. Und wir wissen's nicht. Haben unsere Herzen weit sich aufgetan. Jeder sieht sich selber in dem andern an. Unsere Lippen wölben sich zum frommen Lied. Und am Grund die Seele lauscht und singt dann mit: Daß der Sohn geboren in der Krippe lag, daß wir nicht verloren mehr seit jenem Tag ... Von dem Christbaum oben leuchtet hell der Stern wie ein Lächeln droben her von Gott dem Herrn. In: Paulinus Nr.51 S.10 vom 23.12.1957 In: Regensburger Bistumsblatt Nr.51 S.10 vom 22.12.1957 Zur Jahreswende Von Hermann Claudius Wir gingen. Wir gehen. Wir sahen. Wir sehen. Wir aßen. Wir essen, Vergaßen, vergessen. Wir sannen. Wir sinnen, Begannen, beginnen. Wir sprachen. Wir sprechen, Zerbrachen, zerbrechen. Wir schrieben. Wir schreiben, Im Geiste zu bleiben. Wir riefen. Wir rufen. Und Stufen um Stufen Hinauf und hernieder Und wieder und wieder Die schwankende Leiter Nur weiter und weiter. Schon wanken die Wände. Wir falten die Hände - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Und Gott steht am Ende Im himmlischen Rahmen Der Ewigkeit. Amen. In: Deutsches Volksblatt Nr.301 vom 31.12.1957 Weidenbaum am Wasser Der alte Weidenbaum. Die Leute achten es kaum, wie er blinkt und nach der Sonne mit goldenen Stäbchen winkt. Er reckt sein Gezweige hoch, höher noch abendbang. Denn siehe, die Sonne neigt sich schon zum Untergang. Und die Sonne ging. Es ist wahrlich ein eigen Ding: grau und schwer steht der Baum, als ob er schon eingeschlafen wär'. Und es kommt die Nacht. Da hat sich ein Stern auf den Weg gemacht für sich allein bei dem schlafenden Weidenbaum Hüter zu sein. Hermann Claudius Mspt - 19.6.1957 Agape Nur, wo du dich von ganzer Seele gibst, vermagst du zu dir selber zu gelangen. Sonst bleibst du zwischenin den Dingen hangen. Du einst nur Das dem Geiste, was du liebst. Dem Rätsel Schöpfung, dem du angehörst zuinnerst: diesem kannst du nicht entrinnen. Doch wo du liebst, bist du ihm mitteninnen, solang nicht klugseinwollen dich betört. Denn wir sind Zweierlei in Eins verwoben und können es nicht voneinander trennen und fühlen doch ein Drittes in uns brennen, als zöge eine Hand uns auf nach oben. Dort, wo die Wolken stehn im reinen Licht, dort, wo zur Nacht die Sterne funkelnd wandern, von dorther grüßt es in uns jenem Andern, das seine eigne Sprache dunkel spricht. Es ist wohl mehr ein Schweigen wundersam und will mit seiner Allheit uns umfassen. Du mußt es dennoch wieder fahren lassen, wie es auch ungerufen zu dir kam. Nur, wo du dich von ganzer Seele gibst, vermagst du zu dir selber zu gelangen. Sonst bleibst du zwischenin den Dingen hangen. Du einst nur deinem Geiste, was du liebst. Hermann Claudius - 10. Juli 1957 Märzbild Auf der grasgrünen Weide die Raben wollen den Frühling noch nicht wahr haben. Wetzen die Schnäbel und wackeln umher, als ob es immer noch Winter wär'. Aber die Sonne - sie kennt das schon - tupft ihnen lachend einen Ton aufs Gefieder wie schimmernde Seide. Jaja, die Sonne und ich, wir beide haben unsere Lust an den Raben, die wackelnd über die Weide traben. Auf einmal breitet einer die Flügel. Und - holla! - sind sie weg über'n Hügel. Der Kiebitz wird kommen mit seinem Tanz. Und dann ist erst der Frühling ganz. Hermann Claudius (in einer Hamburger Zeitung 13./14.3.1957) N a c h t in der H e i d e Ich barg mich unterm Holder. Ich wollte einsam sein. Da kam der Mond gezogen und ließ mich nicht allein. Wir gingen über die Heide beide, er und ich. Es folgte mir mein Schatten gar gespensterlich. Wich nicht von meiner Seite, wie ich auch ging und schritt. Du kannst dir nicht entschreiten. Du nimmst dich selber mit. Hermann Claudius - Mspt 28.6.1957 An einen Jüngling X Wie seid ihr alle doch so jung so sehr! Wie ist doch meine Hand mir ahnenschwer! Kaum, daß ich zögernd sie zu heben wage. Als ob sie heimlich eine Kette trage, gläsern und gar zerbrechlich und doch schwer. Ach, daß ich einmal ihrer ledig wär'! Nun aber muß in allen meinen Tagen ich ungesehn die Väterkette tragen, die Väter-Mütter-Kette mühsam heben, bis daß daran zerronnen ist mein Leben. Und dann und wann erzittern mir die Hände, als hielte GOTT der Kette anderes Ende - - Hermann Claudius In: Die Horen. Junger Literaturkreis Hannover Nr.5/1957 S.4 |
1958 |
Tanzlied Der Mond ist rund und die Erde ist rund. Und drehen tut sich das Ganze. Immer nur sitzen ist nicht gesund: Tanze, Renate, tanze! Der Regenwurm kriecht und die Schnecke kriecht und kriechen tut auch die Wanze. Aber das Kriechen macht nicht vergnügt. Tanze, Renate, tanze! Du bist nicht mehr Kind und so laß denn im Wind flattern die Blätter vom Kranze! Dreh dich im Kreise, dreh dich geschwind! Tanze, Renate, tanze! Einmal vorbei ist alles vorbei, ruhen wir unter der Schanze. Wolle Gott, daß es noch lange nicht sei! Tanze, Renate, tanze! Hermann Claudius In: Helios. Unabhängige Monatsschrift. Lauf/Pegnitz Heft 89 S.5 - Mai 1958 Am Abend Und oft in abendlicher Laube mit meinem lieben Weib allein, steht auf in mir der große Glaube: wir werden einst genesen sein. Wie freundlich sich die Blätter breiten, ein jedes still nach seiner Art. So ist auch uns aus Ewigkeiten von Gott die Heilung aufbewahrt. Und wenn in unser kleines Leben davon ein zager Strahl nur bricht: so wollen wir uns gern begeben und horchen, was die Stimme spricht. Und wollen nachbarlich uns finden - denn keiner ist für sich ein Held - uns Mensch zu Mensch in Freundschaft binden zur großen Nachbarschaft der Welt. In: Ruf und Echo. Von Nachbarschaft zu Nachbarschaft. Hannover. 9.J Nr.10 Okt.1958 S.4 Als ich aus dem Fenster sah Der Vogel stob davon. Noch schwankt der Zweig. Es fällt ein Tropfen Tau. Dann ist es still. So schwankt der Zweig, wenn ich gestorben bin. Noch eine Träne tropft. Dann ist es still. Hermann Claudius Mspt - 27.7.58 Parole Von Hermann Claudius Das ist des Lebens Allerbest, das eins das andre gelten läßt. Das Ich und Du war niemals leer. Es füllte sich geschlechterher. Und kaum, daß man es selber glaubt, hebt schon ein alter Ahn sein Haupt. Und kaum, eh dir es selber kund, sprichst du mit einem fremden Mund. Wer weise ist, der gibt sich hin und hadert nicht mit seinem Sinn. In: General-Anzeiger vom 25./26.10.1958 Die beiden alten Linden hinter deinem Hause, Urahn, stehen heute noch. Aber sonst hat deine Historie ein gähnendes Loch. Und dein Wandsbeck, Wandsbecker Bote du, stopft es nicht wieder zu und braucht es auch nicht. Denn dein Wort ist wie ein Altarlicht geworden. Und wie ein geheimer Orden zu ihren Stunden verbunden sind alle miteinander, die dich kennen und deinen Namen mit Ehrfurcht nennen und Liebe. Wenn es nicht so bliebe - - Aber es wird so bleiben. Laß die Welt nur draußen ihr lärmendes Wesen treiben! Der Mond, dein lieber Freund, bewahrt sein Gesicht und auch dein Gedicht. Und ich will meinen, der Mond könnte ohne dein Lied gar nicht mehr scheinen. In: Die Glocke, Oelde vom 24.10.1958 Meine Verse Von Hermann Claudius Zum 80. Geburtstag am 24. Oktober Meine Verse schweben dahin, dahin im Tanz. Jemand sandte mir einen Blumenkranz. Aus Schweden kam eine wächserne Kerze, zinnoberrot und gar schön ziseliert. Auf meinem Tische thront sie nun wie zum Scherze. Ich habe, sie zu entzünden, noch nicht probiert. Ihre wächserne Schöne müßte vergehn. Und so wird sie lange - lange auf meinem Schreibtisch stehn. Und weiter tanzen meine Gedichte hin. Und war es doch mein heimlicher Sinn, hinter ihnen mich zu verschanzen - Aber sie wirbeln dahin, dahin im Tanz - Jemand sandte mit einen leuchtenden Blumenkranz. In: Kölnische Rundschau vom 19.10.1958 Will Vesper zum 75. Geburtstage Deine schreibende Hand ist dem Pfluge mehr als der Feder zugewandt. Und Du gebürtig aus fälischem Bauerngeschlecht, läßt ihr lächelnd gern ihr derberes Recht. Und mit Fug grüßt Du Ackerweite und Wolkenzug. Denn Deine deutsche Seele - wer sagte das Wort? - Es hat nirgends mehr den rechten Ort. - Deine deutsche Seele pulst Dir im Blut. Und so ist auch, was Du geschrieben: gut. Und immer wieder ist Deine Hand bereit, Furchen zu ziehen durch den Acker der Zeit für kommende Saat. Dazu helfe uns allen Gottes Gnad! In: Der neue Bund. Wien 7.J Folge 1 1958 S.41 Beim Morgenrot Es war im frühen Morgenrot. Die Wolken waren schon entglommen, als ahnten sie das große Kommen der Sonne. Ich fühlte es so sehr wie sie und jedes Blatt umher nicht minder. Wir sind doch alle, alle Kinder der Einen. Dann stieg der Feuerball empor. Die Erde schwamm im Licht verloren. Und wieder war ein Tag geboren - o allerheiligste der Horen! - ein neuer Tag! Aus: "Die Eiche", 11.J März 1958 Natal/Südafrika Zitiert in: Die Horen. Junger Literaturkreis. Hannover. 3.J Nr.6/1958 S.10 Sie sind sich ihrer Schöne nicht bewusst. Das ist das Wunderbare, sie zu schauen, wie sie in holdem stummen Sichvertrauen sich herrlich heben zu des Daseins Lust. Und köstlicher noch aus dem Blütenduft - viel Hände halfen bittend, ihn zu bauen in frommer Einfalt edler Klosterfrauen – befreit der Duft dir die bedrängte Brust. Der Atem einer reineren Natur und unbeschwert von allem Menschenlose von einer milden Gottheit ferner Spur. Nur musst du stumm dich hin zur Rose neigen und einsam sein und ihrem Dufte eigen. Hermann Claudius Mspt 1958 |
1959-1960 |
Als T o d d i gestorben war. Deine Rosen blühn immer noch. Geh in den Garten, sie warten auf dich! Morgen - ? Auch die schönste Rose zerfällt. Alles ist hier nur zu Gaste auf dieser Welt. Ehernes Gebot: Hinter jedem deiner Schritte schreitet der Tod. Darum neige dich nieder zu deiner Rose andächtiglich, solang ihr beide noch seid. Alles kehrt wieder zurück unabrinnbar in seine Ewigkeit. Sela. Hermann Claudius Mspt 3.8.1959 Gutenberg Als Gutenberg den Druck erfand, der Herrgott ihm zur Rechten stand. Jedoch ohn' allen Zweifel: zur Linken stand der Teufel. Und in der Engel lautem Chor flüsterte er ihm leis ins Ohr. Seither muß jeder selbst ermessen, von wessen Worten er besessen. In: Damit uns Erde zur Heimat wird. Eine Gedichtsammlung. Ausgewählt von Fritz Färber, Wolfgang Koller, Wilhelm Schindler, Karl Voraus. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1959 S.504 Meinem kleinen Enkel In diesem Aug' seh ich mich selber an, wie ich als Kind, als kleines Kind gewesen. Ich kann's in deinen Blicken deutlich lesen, wie ich es nicht mit Worten sagen kann. Und jene Unschuld, die sich dann und wann aus meinem alten Ichsein möchte lösen, fern aller Klugheit, allem Gut' und Bösen, hat ihre Augen in mir aufgetan und sieht umher. Und hat zu jedem Ding - weiß selbst nicht, wie - ein brüderlich Verlangen und bleibt an Blatt und Blume selig hangen, als schlösse sich erneut der Schöpfung Ring. So laß mich, Enkelein, in deine blauen unschuld'gen Augen wundergläubig schauen. Hermann Claudius 1959 Cantate Ich las Dein Buch. Ich dachte dessen lange nach, Herm.Claudius Grönwohld Der Regen hüllt die Landschaft Es wechseln die Konturen. Als habe Hokusai Und immer rinnt der Regen. Hermann Claudius 1960 |
1962-1963 |
Grönwohld, d 17.11.62 Liebe Alraune, ob Du eine Blonde bist oder Braune, das weiß ich nicht. Aber Dein Name ver- führt zum Gedicht. Es ist mir nicht so ganz gewiß: Er bedeutet Süße und Bitternis. Möge dein Leben Dir beides geben. Eines allein - ? nein! Das wäre kein Leben. Bedenk': Du heißt auch Schenk! Mit Lächeln und Gruß Im Brief weitere Notiz: Eurem Lehrer einen (herz)lichen Gruß von Seinem Freunde Hermann Claudius (der für ihn 10 x schreiben muß 11.5.62) Er soll es lassen bleiben: Kleist läßt sich viel schneller schreiben. To Grönwohld Von Hermann Claudius (Vorgetragen vom Dichter an einem Abend im Nov. 1963 nach seinem 85. Geburtstag) Ick weet en Börgermeester, de hett sin Dörp noch leef, sin olen Hüs un Böm noch, un staht se ok wat scheef. Ick weet en Börgermeester, de geit noch gern tofot. He kennt de heele Hahnheid' un snackt dorvun nich blot. Ick weet en Börgermeester, de hett sin Immenschur. Dor liggt he sine Immen gor to geern op Lur. De Lindenböm - un blöht se, geit he dorünner her. Un hört sin Immen summen so söt. Wat will he mehr? Ick weet en Börgermeester, de krigt dat allens trecht. He hett sick utklamüstert den Hahnheid'-Wannerweg. En Brüch, de lett he bugen. Se heet de Jumfernbrüch. Dor gah mal lank un lüster. De Brüch is en Gedich'. Ick bün tonach' dor wesen. Geruhig leep de Beek. De Maan de stünn an' Heben un keek min an - un keek. In: De Grönwohlder Rinkieker. Mitteilungsblatt für Grönwohld Nr.18 S.4 Okt.1984 De Sassenwohld De Sassenwohld, ne'm Bismarck liggt, dor staht de Dannen dusterdicht. Un allens kickt di an un swiggt. Un in dütt Swiegen steihst du nu. Un dörch dütt Swiegen geihst du nu. Holt wiß! Holt wiß! - Wat deist du nu? Du föhlst en Köhlnis üm't Gesicht, as wenn di wat voröwerflüggt. Du steihst un kickst un rögst di nich. Un warrst nich mit di sülben quitt un geihst. Dat Swiegen dar geiht mit. Un sitt mit di tohus un sitt un kickt di an. Hermann Claudius In: Zwischen Nord- und Ostsee, Hamburg 68.J S.4 Okt.1963 Sleswig-Holsteen De Noordsee rop, de Ostsee raff de solte Wind geit hen und her. Ne'm he dat nich deit, üm sick sülm sick dreiht, ward mi de Aten swör. De Wulken treckt, sick deftig reckt. Ick kik jem na vun't frie Feld. Ward frisch min Moot und dücht mi god rundüm die wide Welt. De Bargen nich mi sparrt de Sicht. De Daak blots weewt sin Nett. Min Waterkant ward Wunnerland in' Droom noch üm min Bett. De Noordsee rop, de Ostsee raff de solte Wind geit hen un her. Ne'm he dat nich deit, üm sick sülm sick dreiht, ward mi de Aten swör. Hermann Claudius In: Zwischen Nord- und Ostsee, Hamburg 68.J S.3 Okt.1963 O S T E R N Ich bin ein Kind der Sonne. Wie Busch und Baum und Strauch sich ihr entgegen heben, tu ich es auch. Ich berge meine Säfte durch weiße Winterzeit, steh in der Ostersonne knospenbereit. Und laß die Schuppen springen und öffne Blatt um Blatt. Und meine Blüten trinken sich sonnensatt. Und muß den Baum beneiden: er tut es Jahr um Jahr. Ich stehe hier bescheiden im grauen Haar. Und kann es doch nicht lassen und muß und muß mich müh'n, den Frühling zu umfassen und blühn. Hermann Claudius 6.3.1963 (In: Zwischen Nord- und Ostsee - April 1979 Mitteilungsblatt des "Up ewig ungedeelt von 1895") |
1964-1965 |
Wintergang in der Hahnheide am 2. Weihnachtstage 63 Wir gingen durch den Winterwald mit seinem weißen Schweigen. Die Tannen hingen tief verschneit. Und stille stand um uns die Zeit. Die Sonne war im Neigen. Und golden schimmerte der Schnee inmitten durchs Geäste. Und Hand an Hand wir schritten fort. Verwunschen schien uns Zeit und Ort und wir darin die Gäste. Auf allen Zweigen lag es schwer. Und immer noch und immer. Wir setzten leise unsern Schritt, als trügen wir die Lasten mit und ihren goldenen Schimmer. Hermann Claudius für Hanna, weil sie’s gern hatte. 6.1.1964 Dat wi sünd, dat is en eegen Sak. Un datsülwe, dat wi wedder gaht. Dat wi meent, wi sünd tohus hier heel. Un denn is dor noch en anner Deel. Twüschen dat un dütt dor hangt en Dok. Un de't nich weeten will - de is nich klok. Simmeleeren schall he, simmeleern. Un dat deit he denn un deit dat geern. Un op eenmal föhlt he: sine Seel so as weer se wat vun't anner Deel. Un em is nich üm sick sülwen bang. Un he sütt den Vorhang ruhig hang'n. HermClaudius - Mspt 1964 Dat Buernleed Wi snackt nich geern soveel. Se is vun uns en Deel, uns' Spraak, se is uns' Seel. Wi sünd vun Buernbloot in Riekdom un in Not, in't Lewen un in' Dod. Wi sünd verwussen swöör mit Acker un mit Eer un sünd dat jümmer mehr. Wi wahnt in't sülwe Huus mit Peer un Köh un Muus un hewwt se leef, uns' Kluus. Uns Wüß de hangt in' Rook, un wi sunn' beten ok. Dat dücht uns goden Brook. Un op de grote Deel - weet keenereen woveel - de Swulken hewwt ehr Speel. Un fallt de Snee vun baben, sitt wi an' Kachelaben un lat de Stünn' sick lawen. De Aben warmt uns' Rüch. De Pipendamp de stiggt rundüm de Lamp un swiggt. Wi snackt nich geern soveel.- Uns' Spraak is unse Seel, un is dat heel un deel. Hermann Claudius In: Die Heimat, Neumünster 72.J H.5 Mai 1965 S.131 Der Regen tröpfelt leise. Die Erde saugt den Himmel ein, im Saft des Baums ihm nah zu sein. Ein Brief, von dir geschrieben, ist wie ein Himmelstropfen mir. Ich lese immer wir nur, wir. Und zwischen deinen Zügen, so neckisch oft im Widerpart, wird all dein Sein mir Gegenwart. Der Regen tröpfelt leise. Die Erde saugt den Himmel ein, im Saft des Baums ihm nah zu sein. Hermann Claudius 15.4.65 - Mspt G i s e l a Du bist der Seele dein das sichre Haus. Und jeder Winkel ist ihr heimisch drin. Ich weiß genau, daß ich es nicht so bin und flüchte oft und oft aus mir heraus. Gleich einem Vogel, der die Weite will und doch nicht sicher weiß um Weg und Ziel. Mich deucht mein eigen Wesen oft ein Spiel, als hielt ich vor mir selber selten still. Du kennst mich so und weißt es und bleibst stumm und ordnest lächelnd es in dein Geschehn. Ich könnte anders nicht vor mir bestehn und kehre immer wieder zu dir um. Hermann Claudius Karfreitag 1965 (Mspt) Im Sommer-Garten zu Hause Es sieht mich meine Eiche an mit stillem Blick. Carpinus tut das Gleiche urwüchsig aus dem Knick. Die Malven an der Mauer mühen sich zu blühn. Ich fühl’s wie milde Trauer daran vorüberziehn. Ranunkeln all mir winken mit goldnen Becherlein, als sollt‘ ich trinken, trinken und sonnenselig sein. Herm. Claudius Grönwohld, 9.7.65 In: Stormarner Tageblatt vom 15.7.1965 |
1966-1967 |
Wanderer Wanderer, bleibe stehn, wo es auch sei! Es sind keine unbetretenen Wege mehr frei. Überall wirst du Spuren vor dir im Sande sehn. Sei dir selber die Welt, selber Unendlichkeit. Es ist draußen wahrlich kein Weg so weit, irgendwo ist er, wohin du auch eiltest, verstellt. Nur deine Seele hat Raum, den kein Schreiten ermißt. Wisse es, weil sie Gottes ist, Gottes, der ihrer wartet am Schöpfungssaum. Hermann Claudius In: Wetzlarer Neue Zeitung 19.10.1963 De Bronzekopp hett sinen deepern Sinn erst, wenn ick nich mehr bün. He weet dat ok un swiggt un wohrt sin Gesicht. Sihle Wissel - een sütt em dat an - is een Künstler, de mehr as kiken kann. Ne'm dat ophört, dat Woort, fangt sin Warken erst an. Wenn ick lang nich mehr bün un de Bronzekopp steit - un wenn denn Een vörbigeit un en Leed singen deit, dat ick mal schrewen - - wat schull dat denn wull gewen? Wat he lisen nickt? Nee, he weet, wat sick schickt. He weet. 1966 Nächtliches Gewitter Nächtelang schon war es schwül gewesen. Dunstig und geschwollen sah des Mondes müde Scheibe auf die Erde nieder. Und wie dunkle Hände schoben Wolken sich davor, und neckisch wie im Spiele. Plötzlich wie ein Lachen zuckt ein Leuchten über alles, schwindet und kommt wieder, heller nun, man hört ein leises Knurren. Und dann stehn Giganten auf und werfen Wolkenfetzen polternd aufeinander. Sie zerbersten. Und aus ihren Bäuchen stürzen Wasserbäche, die wie Feuer niederbrechen gierig und wie Flammen . . . Das war das Gewitter, das uns weckte. Grelle Helle wechselte mit Dunkel, bis im Osten langsam sich der Vorhang vor dem Morgen löste . . . Hermann Claudius In: Der Winterhuder Bürger, Juni 1966 Die Wolken hingen dunkelschwer. Nun rinnt der Regen nieder Mir ist, daß ich die Wolke wär' und alle Tropfen Lieder. Wo kamen denn die Wolken her? Wer machte, daß sie rinnen? So bin ich mir ein Rätsel sehr tief in mir selber binnen. Die Wolke schwand. Der Himmel blaut. Das ist in mir das Schweigen, das seinem Gott in sich vertraut und läßt die Lieder steigen. Hermann Claudius Mspt 4.7.1967 Wilde Schwäne sehe ich im Zuge in der Höhe mir vorübergleiten in die Freiheit ungewußter Weiten. Kaum ein Flügelschlag. Ich steh und schaue. Und es wachen in mir Fluggewalten jählings auf. Ich muß am Baum mich halten. Denn ich fühle doppelt meine Schwere, die mich an den kleinen Garten bindet, während hoch der Schwäne Schwarm entschwindet. Hermann Claudius Mspt 21.7.1967 Der Juliabend weiß um kein Bewegen. Es neigt das Laub sich müde ihm entgegen. Ich lasse meine Augen alles trinken. Es dunkelt schon. Des Mondes halbe Scheibe erhebt sich überm Wald und sagt mir: Bleibe! Wir kennen uns. Er leiht von mir die Worte. Der Ort bin ich mit Atem, Augen, Ohren. Es wird durch mich erst jeder Raum geboren. Und er erwacht in mir erst zum Bewußten. Solang ich bin. Hier will das Wort nicht weiter. Es blickt der Mond herab so silbern-heiter, daß ich mich schweigend seinem Schein ergebe. Hermann Claudius - Mspt 16.7.1967 |
1968 |
Wer Gottes sich erkannt, schlägt Wasser aus dem Stein und trinkt aus hohler Hand. Es ist ein altes Bild jenseitig jedem Wort. Allein es ist und gilt. So neige dich und trink aus hohler Hand - der Knabe. Es ist ein eigen Ding. Wer Gottes in sich fand, schlägt Wasser aus dem Stein und trinkt aus hohler Hand. Es ist ein altes Bild jenseitig jedem Wort. Allein es ist und gilt. So schlag ich an den Stein und trink aus hohler Hand. Und Wasser wird zu Wein. In: Niedersachsen, Hildesheim 68.J - Jan/Febr.1968 S.38-39 An Paul zur Taufe Nun sei gegrüßt, du kleiner Christ, der durch die Taufe unser ist. Gott sei gepriesen, Amen. Du weißt noch nicht, was dir geschah, wir brachten dich Gott-Vater nah in seines Sohnes Namen. Das ist die Weihe dieser Stund, die Taufe hob dich in den Bund der', die den Glauben haben. Du liebes, liebes Kindelein, und wolle Gott dir gnädig sein mit seinem Gut und Gaben. K a j ü t e n - C a n t u s (Für Dr. Karl Samwer) Geborgen sehr in der "Kajüte" und einer guten Stund' an Bord, - es klingt schon heute fast wie Mythe - so saßen wir und tranken fort. Das Edelste, was nur im Keller des klugen Griffes lang geharrt, wir stießen an. Und immer heller erstand um uns die Gegenwart. Aus fahrensalter Bordlaterne fiel auf uns nieder mild ein Schein, als habe er die Stunde gerne und hüll' uns schirmend in sich ein. Und ging das Wort von Mund zu Munde, von Herz zu Herzen her und hin, geboren aus dem Glück der Stunde - ach! - aller Stunden Königin! Karl Samwer in dem Sessel lehnte gedankentief und körperschwer. Und seine Mannesseele dehnte bei jedem Trunk sich mehr und mehr. Und Du inmitten uns, Du Holde! Wie gern Dich jedes Auge sah! Wir stießen an. Und aus dem Golde des Weines sang es: G i s e l a ! So segelten wir sonder Sorgen dicht überhin der dunklen Flut entgegen einem schönern Morgen, wie er in Gottes Armen ruht. Geborgen sehr in der "Kajüte", der guten Stunde froh an Bord - es klingt schon heute fast wie Mythe - so saßen wir und tranken fort. Hermann Claudius 1968 Sylt Vom Strande blicke ich über die Meeresweite. Darüber steht der Abendstern und sieht mich an. Ich ihn. Das haben wir tausendmal schon getan. Nicht immer über das Meer. Schwer winkte er mir über dem Dunst der großen Stadt. Matt. Aber immer hat es mir wohlgetan. Denn er ist die Ferne, in der ich nichts mehr erkenne und keinen Namen suche, daß er sie benenne. Oder sage ich: Gott. Es fällt mir schwer. Aber nehme ich ihn weg - ist alles leer. Nichts ist mehr - auch ich. Lieber Abendstern, leuchte mir - dem Sandkörnchen am Meer. H Cl 20.10.68 G o t t war der erste Sänger, singend schuf E r die Welt. Glaubt mir, daß E r sie singend heut' noch in Händen hält. All der Lärm der Motore, der uns täglich betört, läßt I h n leise nur lächeln, wenn E r uns singen hört. G o t t war der erste Sänger, singend schuf E r die Welt. Glaubt mir, daß E r sie singend heut' noch in Händen hält. Hermann Claudius 1968 Der Dichter sprach dieses Gedicht im Anschluss an ein offenes Volksliedsingen des Stuttgarter Singkreises unter Hans Grischkat zum 90. Geburtstag 1968 am 2.10.1968, 20 Uhr im Gustav-Siegl-Haus. Er hatte das Gedicht für diesen Abend geschrieben. |
1969 |
Ostern Als Kind da warst du ohne Schuld - - - - - - Was bangt dir nun? - - - - - - Geduld! Geduld! Vom Kreuz die Stimme spricht dich rein: Morgen wirst du mit mir im Paradiese sein! Hermann Claudius (Dieses Gedicht übersandte uns der kürzlich 90 Jahre alt gewordene Hermann Claudius) In: Schleswig-Holstein, Neumünster 21.J H.4 April 1969 S.95 Bi 33 Grad Dat is nu mal en Hitt mal. De Wasch drögt in twee Stünn. De allerstrammsten Büxen, De danzt dor an de Lien. De Dint in` Füller drögt mi. Ick schrief di al mit Blee. Du kannst vör Hitt nich lesen. Denn is`t ja eenerlee. Ick lop mit barße Fööt al Un in de linnen Büx. Un Bottermelk blots drink ick Un dat, ick segg di, fix! De Koffee - ja, de mutt wull, As em min Frau mi kakt, Dat sick dat Tidung-Lesen Nich ungemütlich makt. In` Goten dat Begeten - Sunn knappe halwe Stunn - Dor kriegt ick blots dat Sweeten, Dor hewwt de Blom`n nix vun. Wat schall ick di noch schriwen - Min Bleesticken wurr stump. Ick glöw, he is man döstig. Ick loop mal an de Pump. Hermann Claudius 31.7.1969 - - - - Weihnacht Aus grauem Winterhimmel fällt der Schnee und deckt die Erde weiß und feierlich. Ich schaue aus dem Giebelfenster zu im weißen Haar. Es kann mir recht gefallen. So wird es Abend. Und der volle Mond gibt allem eine wundersame Weihe. Die Christnacht kommt. Ich aber fühl den Schnee unendlich sinken jahrmillionenlang. Und alles leer. Ein Zwergbirklein nur steht und zittert. Jahrmillionen her. Ich bin noch, bin. Und werd am Heiligen Abend unterm Baum im Kerzenschimmer Weihnachtslieder summen. Und Gisela schaut mich an und das ist mehr. Und weiter geht's: wir fliegen auf den Mond. Halt an, mein Federkiel. Es ist zuviel: Ward es erfüllt? Ward alles wieder leer? Wir - es ist schwer zu sagen - s i n d nicht mehr. HermClaudius 17.12.69 In: Mitteilungen der Stiftung soziales Friedenswerk. Salzburg. 29.J F.4 S.7 Okt/Dez.1980 Christ De lewe Gott - un is't üm't Hart mi swör - De lewe Gott, denn kloppt he an min Dör. De lewe Gott - kann'ck nich mehr trecht mi finn'- De lewe Gott, sitt he al bi mi binn'- De lewe Gott - un ligg ick letz denn dod - Böört he min Seel. Un denn is allens god. Hermann Claudius In: Stormarner Tageblatt Nr.80 S.3 vom 5.4.1969 |
1970-1971 |
De Riesensteen Dor liggt de griese Riesensteen an' Weg un kickt mi an. Ik em. Vun Norge, as de Iestiet weer, dor dreev em dat so sachen her. Dat güng mitünner wull ok dull. He wüß nich, 'nem he liggen schull. Nu liggt he hier un liggt un liggt mit sien Gewicht un liggt un liggt. De Buur treckt em vörbi un plöögt. Een Heister sitt em op un öögt. Nix, dat em röögt. Mitünner int Vorövergahn denn bliev ik an den Steen wull stahn un kiek un weet nich, wat ik will. Denn steiht de Tiet op eenmal still, as harr se hier nix mehr to doon. Un lett mi bi den Steen so stohn. Hermann Claudius In: Uns' Moderspraak Nr. 3 März 1970 S.11 To Pingsten To Pingsten - dat is lang al her - dor hal de Bur sin besten Peer un mak ehr blank un spann ehr vör. De Frünn', de kemen dree, veer, fif - Rop op'n Wagen, Lief an Lief! Den Buddel, den harr jedereen so bi sick sachs un knapp to sehn. Un nu man jüh! den Knickweg lang. De Pietsch, de knall. Se keem'n in Gang. Bi Vadder Krischan achtert Holt - he stünn vör Dör al bannig stolt - dor keem den Schinken - höi hopp! - op'n eken Beerdisch mitten rop. Dat Leed kunn jedereen: "To Pingsten, och wat schön!" De ole Mellodie: ick weer noch mit dorbi - - - So lang is dat al her to Wagen un mit Peer. De Autos? Kinners, lat jem stahn! Mit Autos geit dat nich mehr an. Dor hört de Peer to un de Pietsch. Benzin? Dat is al veel to plietsch! Uns' Frunslüd leten wi bi Kök. De Pingstour - dat is Mannslüdspök. "Wat de Natur sick freit un all'ns na buten geit!" Herm.Claudius 1971 In: Stormarner Tageblatt vom 29.5.1971 (Der im Oktober 93 Jahre alt werdende Hermann Claudius schickte uns im Januar das seinem Freund Alfred Rust gewidmete Gedicht:) Alfred Freund Alfred Rust, der große Archäologe, hat zu Ahrensburg sein stilles Haus. Und unterm Stein, da wohnt ihm seine Kröte. Erst abends kommt sie nachdenksam heraus und reckt den Hals und wandert längs den Steinen, die wegentlang seit Jahren hier schon ruhn, in gleichem Takt und langsam zu den Beeten. Und Alfred sieht das. Alles dort ist sein. Doch gönnt er seinen Teil dem Hausgenossen. Denn der ist stumm und ohne Wink und Wort. Wer sich wie Rust mit tausendjähr'gen Splittern, wie sie die Erde freigab seinem Spaten, verständigt hat, daß sie lebendig werden, der hält auch mit der Kröte sein Gespräch. Nicht nur mit ihr. Hoch oben unterm Reetdach, da haust der Steinkauz ganz nach seinen Gnaden im Rattenreich, das er im Zaume hält. Bün ick bi Rust, denn snackt wi beid op Platt wull över düt un dat un aff un an bloß. In' Gooren wiest he mit sin Hand un swiggt. Ick heff em geern, wenn he so stillvergnöögt en Füstling in sin Hand höllt un em wiggt: bi hunnertdusend Johr geiht dat wull an. Un ok uns Spraak dücht mi denn hunnertdusend. Hermann Claudius In: Schleswig-Holstein Neumünster 23.J H.3 März 1971 S.72 Min Heckenpoort An Lindemann sin Heckenpoort dor stah ick gar to geern. Dat is mi Dag üm Dag en Freid. Dor kik ick op de Hahnenheid bet in de blage Feern. Un is dat Awend, kümmt de Maan un sütt mi dor so stahn. He kickt mi an as olen Fründ, de wi siet Johr un Dag al sünd, un fangt to snacken an. Dat lett sick nu so nich verteeln. He hett sin eegen Sprak. De is wull meist so as en Leed. Ick weet dor sachen mit Bescheed, dat ick’t tosamenrak. Wi snackt ok mal vun Lindemann, wil dat de Poort he sett. Wenn de nich weer, denn güng dat nich. Denn würr dat nix mit dat Gedich‘ Un ick müß so to Bett. Herm. Claudius 4. Juni 1971 In: Stormarner Tageblatt vom 2.8.1971 |
1972 |
Was ist denn ein Gedicht? Eine Hand, die sich zärtlich auf deine legt. Ein warmer Blick unterweg schattender Wimpern auf dich. Dein eigener Name, wenn die Liebste ihn ruft. Eine weiße runde Wolke im Himmelsblau. Mehr als Wort und Reim: alles in dir daheim - anders nicht. Das ist ein Gedicht. Und die Stimme, die dieses spricht. Hermann Claudius In: Unser Gespräch, Heikendorf/Kiel 2. J Nr.6 S.2 - April 1972 1. Die Erde schiebt den Morgen vor sich her in buntem Tanz von einem Dutzend Stunden. Die Sonne steht und schaut, die große Mutter, die alles Leben weckt, das nächtens schlief. Im Segelflug kreis‘ ich ihr entgegen. Sie sieht mich lächelnd kommen fast im Gleiten und mit des Windes Jubel um mich her. Dem Göttersang, der sieht und nimmer endet. Die Erde fort ist das junge Kind, das seiner Mutter harrt, an ihren Brüsten das Leben einzusaugen, tiefer Lust. 2. Es schwindet wieder von dem Rauch der Städte. Es öffnet sich das Meer dem schönen Schein. Die grünen Morgenwellen grüßen mich. Ich gleite singend nahe ihrem Tanze, der weht und sorgt und fröhlich lichterbiert. Nun heb ich höher mich. Und Palmen grüßen. Sie heben trunken noch vom Schlaf das Haupt. Und breiten ihre Hände mir entgegen. Ich eil im Fluge über sie dahin. Und liefen sich, mit wunde Hütte am Gang des Ufers, das sich vor mir hebt das viele Menschen, Menschlein an das Ufer. Ich seh sie tauchen morgendlich ins Meer. Ein Wolkenballen kommt, und deckt sie zu. Ich bin mit mir allein, und wie ein König träge mich der Thron des Morgens der mich mühlos trägt. 3. Die Wand zerfließt. Nun tauchen Berge auf. Die weißen Gipfel leuchten mir entgegen. Ich greif ins Steuer. Sie umfangen mich. Doch eben schon, sind sie noch gleich einem Teppich in sich versunken. Helle Sonne streicht mit ausgestreckten Händen über Erde. Die Erde ist, die unter mir sich dehnt. Sand, nichts als Sand. Es ist die Wüste Wüste. Kamele schwanken hier in ihrem Trapp dem Morgen zu, wo wieder Palmen ragen. Ja unter sich. Die Erde hat wirklich Ihr Morgenglanz weiß immer um die Erde. Und wieder Wolkenballen um mich her. Und immer noch und strahlend wie im Tanze um ihre Mutter, die sich mir verbirgt. 4. Da – ein Erschrecken: ja, es ist’s Manhattan tut sich auf wie tausend Speere, die kalt und kühn den Himmel stürmen. Mein Flugzeug, das mich trägt, heißt Phantasie. Da dies Manhattan ist nur noch Skelett. Es hat auch keinen Gruß mehr an die Sonne. An dem kahlen Grund der Speere gähnt verworrne Nacht, will selbst der Morgen sein mit Gleißen, das nicht mehr vom Lichte hat vom großen Mutterlicht, die Sonne heißt. Ich flog ihr weiter zu. Erde ist wieder Erde, ist wieder stumm, fängt wieder an zu grünen bis an den Pol, der blind vom Eise starrt. Er greift nach mir. Mein Segelflugzeug gleitet, entgleitet langsam mir – ich wache auf. Und – was ich schrieb – hat Phantasien geschrieben. Der großen Sonnenmutter Melodie. Hermann Claudius 14.5.1972 (Sehr schwer zu lesendes Manuskript; deshalb viele unsichere Stellen!) |
1973 |
! K.. S.. ! Nun sind wir wieder zu Hohwacht, doch anders, als wir es gedacht. Die Technik hat Hohwacht ergriffen, wie Klugscheißer es lang gepfiffen. Die blaue Ostsee, nun, naja, die blaue Ostsee ist noch da. Allein sie kam aufs Altenteil. Ein Schwimmbassin, das ward das Heil. Da kann man sich ein Ticket kaufen, kann schwimmen, ohne zu versaufen. Und wer nicht schwimmen kann, der kriecht. Daß man sich gegenseitig riecht bei Morgen- und bei Abendkur, das eben macht die Schwimmkultur. Man kann sich freundlich nackt bewegen in Ober- Unterleibes Segen. Nein: Regen gibt es nicht, nur Sonne. Man schmilzt in jedes andern Wonne. Auch gibt es wunderschöne Salben, der öftern Eckigkeiten halben. Nun sind wir wieder in Hohwacht - - doch anders, als wir uns gedacht. Viel alte Bäume fielen um. Kultur ist klug, der Baum ist dumm. Daß ich nicht weitertippe: ich wate hin nach L i p p e . Herm Claudius 27.3.1973 Und Eines noch bedrückt mich sehr: Karl Schöningh fährt kein Auto mehr. HermClaudius Wasserrosen Die Wasserrosen wissen von einem Märchen schön, das sie verschweigen müssen oder untergehn. O wunderstilles Schweigen! Ich höre seinen Sang und möchte niedersteigen, ob mir auch heimlich-bang. Und möchte niedersteigen. Wohin? Ich weiß es nicht. Als würde ich mir eigen erst dort und anders nicht. O zauberhafte Fraue, die mir es angetan: o steig herauf und schaue mich armen Träumer an! Hermann Claudius In: Sesener Beobachter vom 3.11.1973 Die grünen Blätter fangen an zu gelben, das Gras ist silbern spinnennetz- versponnen. Ich leg' mich lang und laß mich übersonnen. Septembersonne sticht nicht mehr, sie streichelt. Ich öffne ihr die Brust und laß mich küssen. Ich werd' es lange Zeit entbehren müssen. Wie ist es menschlich, daß man liebt, was schwindet. Ich muß es leise für mich her mir singen wie Glocken fern und ferner noch verklingen. Ein letzter Ton - er zögert mir im Ohre. Ich lasse lächelnd ihn darin verweilen. Die Sonne sinkt. Ich muß mich schon beeilen. Hermann Claudius Mspt 5.9.1973 Man kann es an sich selber nur erleben, was es bedeutet schließlich taub zu sein. Man horcht und mißversteht und horcht nicht mehr. Der Ohrenmensch wird langsam Mensch des Auges, und langsam lernt das Auge mehr als sehn. So nehmen meine Augen alles wahr und mit der ganzen Fülle ihres Wunders dem Worte nicht mehr Mißverständnis sind auch drängt sich keine Antwort ihnen vor. Es bleibt ein stummes, wie die Blume blüht. Hermann Claudius Mai 1973 In: Ostholsteinischer Anzeiger; Eutin Nr.21 Okt.1978 De Alsterquell. Es bleibt doch nur das E i n e , das in der Seele ruht, das Meine und das Deine. Ich scheue seinen Namen, ob ich es nennen muß. Es paßt in keinen Rahmen. Es steht mir im Gedichte verborgen hinterm Wort, daß ich mich ihm verpflichte. Es ist und bleibt das E i n e, das in der Seele ruht, das Meine und das Deine. Hermann Claudius - Mspt 1973 Der Weißdorn blüht und läßt die schweren Zweige weiß auf den grünen Rasen niederhängen. Wie sich die Dolden aneinander drängen, als müßten sie den Rasen übertönen! Doch alles bleibt ein lächelndes Versöhnen. Ich steh dabei und laß es mich durchrinnen, den Tag nichts Unbedachtes zu beginnen. Es hilft nicht viel, denn da ist der Verstand in mir, dem Weißdorn unbekannt. So will ich zwischen Ja und Nein nichts als der Weißdorn überm Rasen sein. Hermann Claudius Mspt 3.6.1973 Wir sahen uns nicht. Gudrun P i l z heißt die Dame, in Holland zuhaus. Auf ihrer Spanienreise inmitten maurischer Pracht hat sie meiner gedacht und geschrieben. Ich darf sie schon lieben, wie sie meine Verse liebt. Es ist wichtig, daß ich das reime und meinen Manuskripten verleime. Wir sahen uns nicht. Auf ihrer Spanienreise hat sie meiner gedacht. Hermann Claudius Mspt 20.5.1973 Frühmorgens, trink ich unsern T h e e , gedenk ich der Chinesen und leise auch an L i - t a i - P e , der mir verwandt gewesen. Ich setz die flache Tasse an und trink, so heiß ich trinken kann. Der heiße Thee: ich kürze dann Schluck bei Schluck die Würze. Heute sind die Chinesen nicht mehr das ferne Sagenvolk, das sie uns Jahrtausende gewesen. Alles jetzt M a o , Tung-se .... L i - t a i - P e , komm wieder, komme wieder und sitze bei mir nieder und nipp vom Thee so heiß, daß ich dich nahe weiß, trinke ich nun wie eh frühmorgens meinen T h e e . Hermann Claudius Mspt 9.5.1973 Maiwind im weißen Haar - - ich möchte lieber Blume sein, wie tausendfach Taraxacum sich weitet hin übers Gras ein heller Jubelschrei, ein Übersichvermögen voller Lust. Und ohne alles Mühn. Vielleicht bin ich nur dumm: was weiß ich denn vom Sinn Taraxacum? Verzeih mir, mein Gedicht! Bist du was anders denn, als wollt' ich blühn? Als müßt' ich blühn. Es läßt mir keine Ruh. So leg' ich mich ins Gras und sage D u und - warum sollt' ich's nicht? - in deine Blütenfülle steck ich mein Gedicht. Nicht das Papier - o nein! - Es soll nur wie ein Summen um dich sein und deine stumme Gottes-Überfülle. So seid ihr beide miteinander stille, Taraxacum. Vielleicht sieht G o t t sich lächelnd nach uns um. Hermann Claudius - Mspt 4.5.1973 N a c h t - und Nebel fallen schwer, du siehst kaum Hand vor Augen mehr. Du bist nur Du und Du allein ein Atem nur und ohne Schein uralt - uralt, Urnebelher gewachsene Gestalt. Und nicht Gestalt, ein Schweben nur und ohne Weg und ohne Spur Nichtsein. Dem Nichtsein zu entlasten, mußt an dir selbst du niedertasten, damit du wieder weißt, du s e i s t . Nacht - und Nebel fallen schwer - du siehst kaum Hand vor Augen mehr. Ein Stück, ein irrgewordenes Stück - - ins U r zurück, ins U r , ins Glück. Hermann Claudius Mspt 26.10.1973 Zum Fünfundneunzigsten mein Ledersessel: er ist gefedert sehr, als ob ich flöge und halbwegs schon gen Himmel zöge - und meine Worte flögen mir vorauf. Doch bin ich alt genug und passe auf. Ich spür' es oft in meines Schreibens Zügen, daß Wahrheit sich verwirrend eint mit Lügen. Man mag auch Irrtum sagen. Das ist feig. Da ward das Backwerk schleifig dann im Teig und kein gesundes Brot mit krosser Rinde, wie es einst schmeckte schon dem Kinde. - - - - - - - Ich wiege mich im Sessel hin und her und fühle mich gelind umfangen sehr und lehne mich zurück und träume und fühle, ohne daß ich mich versäume mit Fünfundneunzig ledern - polster - schwer. Hermann Claudius - Mspt 23.10.1973 Am letzten Oktober 73 ein noch sonniger Tag Mein 95zigster ca. fünf sechs mal vorüber noch im Blut als ein leises Fieber Viel Gerede von Menschentum - - scheußlich: es reimt sich gleich Ruhm. Auf der ich zuerst wieder tippe, meine Olympia ward überholt. Dichtet sie jetzt besser als ich? Wer überholt mich? Man kann es noch immer nicht lassen, das A l t e r allein zu lassen. Töricht und weise hieß mein letzter Band. Ich sag es nur leise. Hermann Claudius - Mspt |
1974-1976 |
Am 30. Hochzeitstag 8.8.1974 Was 30 Jahr sich nicht verließ gehört am Hochzeitstag zurück ins Paradies. Ein Stückchen Eulenspiegelei - Karl Schöning ist ja auch dabei -. Zu Mölln, wo Till begraben kopfüber an der Mauer da wollen wir uns laben und unser Hochzeitsessen haben. Hermann Claudius In: Ostholsteinischer Anzeiger; Eutin Nr.21 Okt.1978 Selbst die E s p e rührt kein Blättchen mehr. Und ich wag die Feder kaum zu führen ganz die Stille in sich selbst zu fühlen. Ohne Atem ist die Abendluft. Wie vor Augen mir die Mücken spielen, tausendfach die unzählbaren Vielen, wie im Wirbeltanz unheimlich still. Atemlos geht alles in mich ein meiner Seele Schleier sacht zu heben. O du Gott-Geheimnis: worteleer. Selbst die E s p e rührt kein Blättchen mehr. Hermann Claudius - 16.9.1974 Manuskript S.9 Der Spatz Der Spatz ist fort, der auf dem Zweig am Apfelbaum sich wiegte. Der Zweig, der schaukelt noch. Ich schau ihn an. So schaukelt, was ich schrieb, noch eine Weile, wenn ich fortgeflogen, wie jener Zweig, auf dem das Spätzlein saß. Hermann Claudius für Gudrun Pilz Hohwacht - Juni 1975 In: Der Rosenbogen. Baden-Baden. 3/1976 S.32 Wihnachen! Würklich: nu hett dat sneet, hett sneet. De lewe Gott weet Bescheed: Wihnachen brukt sin Wihnachenkleed. Un de Stormarner brukt min Gedich', anners geit dat nich. Ick schriew grad to: dat Jesuskind in de Krüff op Stroh, Maria un Joseph darto un de Esel ok un de Koh. All wat an Dannenbööm in de Hahnheid drööm, mutt nu in de Stuw op'n Disch. Lich' bi Lich', dat is an sick en Gedich'. Un denn dat Schenken, dat Schenken! Een kann garnix anners mehr denken. De Ladens sünd proppenvull. Dat is rein wihnachendull! Un dat sneet noch un sneet. De Lewe Gott weet Bescheed. Un so is nu datt: to Wihnachen snackt He Platt. Herm.Claudius, Grönwohld 23.XII.76 In: Heimatzeitung Kreis Stormarn 24.12.1976 Kathrinchen Kathrinchen ist Lebendigkeit, ob sie nun spricht, ob schweigt, ist Geige ohne Bogenstrich, die aus sich selber geigt. Kathrinchen ist auch ein Vögelchen, das ohne Flügel fliegt, sie ist gleich einem Engelchen, das ohne Kämpfen siegt. Sie ist dem Manne zugetan, dem Besten, was ihn hält. Kathrinchen und ihr Heinerich, das ist die runde Welt. Kathrinchen ist Lebendigkeit, ob sie nun spricht, ob schweigt, ist Geige ohne Bogenstrich, die aus sich selber geigt. Hermann Claudius zum 19. Mai 1976 (Mspt für Heinrich Schmidt-Barrien und seine Frau Katharina) Der Dichter in mir ist nicht totzukriegen. Sie werden morgen kommen, Gudrun und Horst, die lang wir nicht gesehn. Er hat in Hamburg wohl - ich weiß - Geschäfte. Der Dichter in mir ist nicht totzukriegen. Da sehe ich sie nicht gemächlich kommen, sie tanzen lächelnd über unsern Rasen. Er schwingt die Arme hoch, und sie nicht minder, Gudrun, die mir den Ruhmeskranz ums Haupt gelegt. Und Gisela? Zwei Tage wirkt sie schon mit Wischen, Backen, Kochen, Sträuße schneiden, das neue Kleid hängt schon im Schrank. Jetzt aber ist sie Ruh, des Vaters Ruhe, wie er sie geprägt. Nun reden sie gar viel. Ich laß sie reden. Und Gisela weiß: sonst halte ich nicht auf. Der Dichter in mir ist nicht totzukriegen. 13.X.76 (Das Willkommen-Gedicht für Horst und Gudrun Pilz) Der Herbst spinnt sich mit tausend Wundern ein im Garten rund und rings auf allen Wegen. Spinnweb auf Spinnweb birgt sich vor der Sonne, als seien sie in Finsternis zuhaus. Du siehst die Spinnen nicht, die unsichtbarlich Fäden hingezogen, wunder-gebärend millionenfach. Das Grau der Winternacht steckt schon darin. Dein scharfer Blick wagt sie nicht zu ertasten. Er kann es nicht, ist schon der Wunder fremd. Und wird ihm immer fremder. Der Herbst spinnt sich mit tausend Wundern ein im Garten rund und rings auf allen Wegen. 1976 Allein in meiner Giebelstube sitze ich und schreibe - schreibe - auf daß ich bleibe? Bin ich fromm? Aber, wenn ich schweige - leer lasse das weiße Papier - bin ich feige? Oder bin ich nur das Instrument, die Geige, auf der das Schicksal spielt? Ich neige mich. 1976 |
1977 |
Da steht's: Auf Wiedersehn! Was ist des Menschen Wollen? Ein leichter Schlaganfall. Du liegst im Krankenhaus durch Wochen schon, Horst Pilz - und Gudrun wartet dein. Wie Du doch, Horst, eben vor einem Jahr über den Rasen tanztest zu mir hin, G r ö n w o h l d in Stormarn, großmächtig Dein Kopf im plusterweißen Haar. Wir lagen uns in Armen. Da steht's von Deiner Hand: Auf Wiedersehn! Was ist des Menschen Wollen? 3.3.77 Armantje Gisela! zum 29. Mai 77 Dein Geburtstag kommt: sechzig und zwei! Einerlei, Du bist dir selber Dein Mai. Im Garten, im Haus, drinnen und drauß schaut es festlich aus: Die Syringen - weiß und blau - blühn und die ersten Spargel sind da. Dein Rhabarber ist so voll, daß ich nicht mehr weiß, wo er mit seinen Stangen bleiben soll. Und - ein Stück vom Glücke: in dem alten Knicke singt, schmetternd die Grasmücke beinah wie die Nachtigall. Und Dein Goldlack das Beet entlang - ist ein Farben-Gesang. Was singt der: Ja - ja - Geburtstag hat Gisela. Sechzig und zwei Einerlei! Du bist Dir selber Dein Mai und mir im Gedicht - blond von Haar - Ich krieg es so blond nicht klar Armantje Mspt Dir! Durch Dich ward es mir offenbar: Du gabst mir mehr, als ich noch war, Dein blondes meinem weißen Haar. Du gabst mir Rang, Du gabst mir Ruh. Ich ward durch Dich, durch mich wardst Du. Und Gott im Himmel sah uns zu. A Mai 77 (Mspt) Zu Hohwacht auf dem Fliesenweg zwischen lauter Zement zwei Marienblümchen lächeln überhin die nackten Fliesen gleich einem Gruß aus verlorenen Paradiesen. Da stand ich alter Mann und sah's mir an und sah's mir an, weil's meiner Seele wohlgetan. Hermann Claudius 1977 In: BILD-Hamburg. S. 6 vom 24.10.1977 Grönwohld Montag, IV. 77 Lieber Gustav, Es ist doch schön, wieder in meiner Giebelstube zu sein, auch Du bist da im Schweigen. Hier schreibe ich das Uhr-Gedicht ab, das ich Dir widme und Deiner entzückenden Frau und Töchterlein Gudrun Das Uhr-Gedicht Im Bauernhof beim Präsidenten Galle aus alter Freundschaft zum Besuch saß ich in seiner holzgedeckten Stube und sah die weißen Wolken draußen durchs Blaue ziehn - - - und ging - wie's mir so ist - so langsam mit. Auf einmal aber fiel mein Blick in eine düstre Ecke vom Fenster links - - und da stand eine Uhr - nein! - uralt eine Uhr gewaltig. Der Perpendikel - schwer - sekundenweise genau ging er unweigerlich, als ginge er in alle Ewigkeiten. Viel goldgeziert sah man nicht die Gewichte graubleiern grob, die alles erst bewegen... sekundenweise hin und wieder her. Sie, meine Seele, sachte ging sie mit - unweigerlich in alle Ewigkeiten - - als sei ich nur noch sie. - - - - - - Die Feder sinkt. Ich faltete die Hände. Dein Hermann - Armantje Für Dr.Gustav Galle, 4542 Tecklenburg, ins Gästebuch dort gelegt. - April 1977 [Dr.Galle starb am 31.12.1991] |
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